Freitag, 27. Juli 2012

Verschiedene Möglichkeiten der Geldaufbewahrung

Das kleine schwarze Lederetui, das ursprünglich für die Aufbewahrung von Visitenkarten gedacht ist, wurde in den vergangenen Wochen immer dicker, denn meine Ersparnisse, die ich dort aufbewahrte, wuchsen und wuchsen. Nicht unter dem Kopfkissen, sondern in einer Küchenschublade lagerten meine Schätze.
Als ich am vergangenen Wochenende mit etwas Mühe weitere Geldscheine hinzufügte, schlug mein Mann vor, ein Sparkonto zu eröffnen. Keine schlechte Idee, diese Option sollte ich recherchieren.
Ich befragte eine Freundin, denn wenn jemand ein Sparbuch hätte, dann sicherlich sie. Und tatsächlich: Sie habe eine poupança, ein Sparbuch, kostenfrei. Allerdings habe sie bei der gleichen Bank auch ein conta-corrente, ein Girokonto, erklärte sie weiter. Dass sie Brasilianerin ist und damit die Grundvoraussetzungen andere sind, kam mir erst in den Sinn, als sie ausführte, dass ich bestimmt eine poupança bekommen könne, in jedem Fall, wenn mein Mann sie für mich eröffnen würde und sie an sein Konto gebunden sei.
So hatte ich mir das nicht vorgestellt. Ich recherchierte weiter auf den Internetseiten der Bank meines Mannes, und staunte. Für estrangeiros, für Ausländer, wurde ein spezielles Paket angeboten, mit R$ 25.000 Mindesteinlage. Um diese Summe anzusparen, würde ich, ausgehend von meiner aktuellen Situation, wohl Jahre, wenn nicht Jahrzehnte brauchen.
Irgendeine Möglichkeit müsste es doch geben. Ich beschloss, mein Glück vor Ort, in der Bankfiliale, zu versuchen. Vorher wäre es sicher ratsam, den Besuch mit meiner Sprachlehrerin zu trainieren. In der nächsten Unterrichtsstunde trug ich ihr also mein Anliegen vor. Bevor wir uns mit den einschlägigen Vokabeln und sprachlichen Finessen auseinandersetzten, meldete auch sie ihre Bedenken im Hinblick auf die Eröffnung eines eigenen, individuellen Sparkontos an. Um ihre Argumente zu untermauern, zog die stets perfekt organisierte Professora aus ihrer Brieftasche eine kleine Broschüre ihrer Bank hervor, die wenig Anlass zur Hoffnung gab. Doch ich insistierte und lernte: “Eu quero abrir uma conta poupança”. (Ich möchte ein Sparkonto eröffnen.) “Meu marido é um cliente do banco, mas a conta não é conjunta. Eu só tenho um cartão de crédito”. (Mein Mann ist Kunde Ihrer Bank, doch es handelt sich nicht um ein gemeinsames Konto. Ich habe lediglich eine Kreditkarte.) “Eu não preciso de conta-corrente”. (Ich benötige kein Girokonto.) “Tem taxa de manutenção?” (Fallen Kontoführungsgebühren an?) Und die wohl wichtigste Frage: “Vocês têm uma aplicação minima?” (Gibt es eine Mindesteinlage?). Ich solle mein Glück einfach versuchen, erklärte die Sprachlehrerin schließlich. Wenn es bei der Hausbank meines Mannes nicht funktionieren würde, sollte ich es bei anderen Banken in der Umgebung versuchen. Bei der Caixa Econômica Federal, in Brasilien auch kurz CAIXA (deutsch: Sparkasse) genannt, würde ich vielleicht doch erfolgreich sein, dort seien sicher keine RS 25.000 erforderlich. Die nach der Banco do Brasil zweitgrößte Bank Brasiliens sei gegründet worden, um auch ärmeren Menschen Bankdienstleistungen anzubieten. Hier gäbe es bestimmt keine hohe Mindesteinlage, auch nicht für Ausländer.
Ich stellte meine Unterlagen zusammen, nahm meinen Reisepass, das protocolo de permanência, das vorläufige Dokument über die permanente Aufenthaltsgenehmigung, und meine aktuelle Handyrechnung als comprovante de endereço, als Adressnachweis, mit, denn Meldebescheinigungen, wie sie in Deutschland existieren, gibt es in Brasilien nicht.
Auf dem Weg zur Bank telefonierte ich mit meinem Mann, der, so angetan er von meinem Anliegen und meiner Entschlossenheit war, ebenfalls Zweifel am Erfolg meines Vorhabens hatte. Wenn Du schnell (ohne zum Ziel gekommen zu sein) fertig bist, können wir erst einen Kaffee im Büro trinken und dann zum Essen gehen. Du wirst schon sehen, dachte ich bei mir, und betrat um 12.28 Uhr die Bank.
Die freundliche Rezeptionistin hörte sich mein Anliegen an und schickte mich in den exklusiveren Bereich der Filiale, in den ich meinen Mann zuvor bereits zur Erledigung seiner Bankgeschäfte begleitet hatte.
Nachdem ich mich dem dortigen Rezeptionisten erklärt hatte, bat der mich kurz zu warten. Sekunden später erschien schließlich eine ausgesprochen sympathische Bankerin, die mich, als ich berichtete, dass ich eine eigene, nicht an meinen Mann gebundene poupança eröffnen wolle, in den Hauptbereich der Filiale begleitete und erklärte, dass Luciana sich meiner annehmen würde.
Als Luciana den Kunden, der vor ihr saß, verabschiedet hatte, winkte sie mich lächelnd heran. Einmal mehr legte ich mein Anliegen dar, woraufhin sie kurz mit ihrer Vorgesetzten sprach, das entsprechende Antragsformular zückte und sich sodann kurzzeitig verabschiedete. Nachdem sie mit den Kopien meiner Unterlagen zurückkehrt war, bat sie mich darum, zwei Referenzen anzugeben. Sollte es jetzt daran scheitern? Schriftliche Referenzen hatte ich zuvor nicht eingeholt. Ich solle einfach die Telefonnummern zweier Personen, die mich hier in São Paulo kennen würden, auf der Rückseite meiner Visitenkarte notieren. Kein Problem. Während Luciana mit der Kontoeröffnung beschäftigt war, stellte ich schließlich eher zögerlich die entscheidende, bislang nicht diskutierte Frage nach der Mindesteinlage und erkundigte mich nach den Kontoführungsgebühren. Ein Real würde genügen, die Kontoführung sei kostenfrei, erklärte die engagierte Jungbankerin, die zwischendurch immer wieder den Kollegen am Nachbarschalter konsultierte.
Auf einem kleinen Schmierzettel überreichte sie mir schließlich meine Kontonummer. Fertig? Einfach so? Ohne einen einzigen Real eingezahlt zu haben. Ja, innerhalb der kommenden sechs bis zehn Tage würde mir per Post meine cartão movimentador, die Kontokarte, zugeschickt werden. Ob ich mein Erspartes nun einzahlen könnte, wollte ich wissen. Kein Problem, ich müsste nur kurz eine Nummer ziehen. Ihr Kollege würde die Einzahlung übernehmen. Um 12.58 Uhr, nach nur 30 Minuten, hielt ich schließlich den COMPROVANTE DE MOVIMENTO, den Kontobewegungsbeleg, mit der DEPOSITO No. 002730 in Händen, den ich meinem Mann um 13.10 Uhr stolz auf den Tisch legte.
P.S.: Als ich zuhause, glücklich darüber, dass die Kontoeröffnung so unkompliziert verlaufen war, die allgemeinen (nicht auf estrangeiros zugeschnittenen) Hinweise zur Eröffnung einer poupança durchlas, stellte ich fest, dass ich, ohne Girokonto bei der gleichen Bank, eigentlich R$ 100 hätte einzahlen müssen. Auch wäre ein comprovante de renda, ein Einkommensnachweis, erforderlich gewesen. Faszinierend! In diesem als ausgesprochen bürokratisch geltenden Land ist mir nach der CPF, der Steuernummer, auch das Sparkonto nahezu in den Schoß gefallen.

Freitag, 20. Juli 2012

Naherholungsgebiet Shopping

Der typische Paulistano ist weiblich, zwischen 25 und 29 Jahren alt, weiß, hat den ensino médio, die Oberstufe, abgeschlossen, verdient gut, ist katholisch und hat eine große Leidenschaft: Shopping!
Laut Wochenmagazin Veja ist der wöchentliche Besuch eines der gerade auf 54 angestiegenen Shoppings der Megacity für 62 Prozent der 11,2 Millionen Einwohner ein hábito, eine feste Gewohnheit.
So verwundert es kaum, dass der Satz “A praia do paulistano é o shopping” – „Der Strand der Paulistanos ist das Shopping“, der den Carioca, den Bewohnern Rio de Janeiros, zugeschrieben wird, in den allgemeinen Sprachgebrauch übergangen ist.
Auch wenn es nicht von der Hand zu weisen ist, dass die Megacity ein wenig rauer und stets etwas kälter ist, als die entspannt daherkommende Sonnenstadt am Fuße des Zuckerhuts, regte sich, als ich von der Urheberschaft dieses Ausspruchs erfuhr, ein gewisser Lokalpatriotismus. Natürliche Gegebenheiten anzuführen, um sich vom Finanz- und Wirtschaftszentrum abzugrenzen, in dem das nächstgelegene Shopping natürlich schneller zu erreichen ist, als der stadtnächste Strand, machte mir die Carioca, die Kalifornier Brasiliens, nicht sympathischer.
Vielleicht spricht aber auch ein klein wenig Neid aus dem Carioca-Satz, denn die Stadt Rio de Janeiro zählt nur 31 Shoppings und liegt damit 23 Shoppings hinter der Megacity, die nicht nur in diesem Sektor einiges zu bieten hat.
Kurios, dass sich ausgerechnet eine deutsche Doktorarbeit mit den Shoppings der Megacity beschäftigt: Die im Jahr 2001 am Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Universität Göttingen vorgelegte Arbeit setzt sich mit dem Thema Einzelhandel und Konsumkultur am Beispiel ausgewählter Shopping-Center in São Paulo auseinander. „Der Mangel an Stränden mag eine untergeordnete Bedeutung haben“, erkennt die deutsche Autorin, wohl aber erscheine es plausibel, dem Shopping vor dem Hintergrund der gegebenen städtischen Megastrukturen die Funktion eines Ersatzes für unterschiedliche Aspekte zuzuschreiben“.
Ähnlich betrachtet es auch Nabil Sahyoun, Präsident der Associação Brasileira de Lojistas de Shopping (Alshop). Heute sei ein Shopping nicht mehr nur ein schlichtes Einkaufszentrum. Dadurch, dass dort auch die Freizeitbedürfnisse bedient würden, sei es zu einer Art Naherholungsgebiet geworden, mit Öffnungszeiten bis in den Abend und an Sonn- und Feiertagen. Und vor allem bei jedem Wetter. Das hohe Maß an Sicherheit, das Paulistanos wie Touristen immer wieder betonen, ist vor dem Hintergrund der hohen Kriminalitätsrate der Megacity, sicher auch nicht zu vernachlässigen.
Mit Slogans wie “Completo como São Paulo” (Vollständig wie São Paulo), “Sofisticado como seu estilo” (Anspruchsvoll wie Ihr Stil),“Vem Viver Eldorado” (Leben Sie Eldorado), “Uma experiência única” (Ein einzigartiges Erlebnis) oder schlicht “Espetacular” (Spektakulär) transportieren die Konsumtempel eine große Portion Lebensgefühl. Ihr Angebot geht in der Tat weit über das klassische Shopping hinaus. Ob Theater, Kino, Spielparadies, Fitnesscenter, Restaurant oder Dienstleistungen und Services: Die Shoppings decken tatsächlich viele Lebensbereich ab. Im Shopping Eldorado besteht gar die Möglichkeit, sich durch die Polícia Federal vor Ort einen Reisepass ausstellen zu lassen.
Unsere erste Exkursion in der Megacity führte uns in ein Shopping, dessen regelmäßiger Besuch mittlerweile fest in unser Leben integriert ist. Das Morumbi Shopping ist zu „unserem“ Shopping geworden.
Im Shopping meiner Freundin, dem Eldorado, haben wir unseren Telefon-, TV- und Internetanschluss beantragt und alle Haushaltsanschaffungen erledigt, denn dort hat meine Freundin, die unsere Anfänge hier begleitet hat, ihre festen Ansprechpartner.
In einzelne Shoppings haben wir Ausflüge gemacht, angefangen mit den „Naherholungsgebieten“ Shopping Iguatemi, dem bereits 1966 eröffneten ersten Shopping des Landes, und dem Shopping Pátio Higienópolis, „dem“ Hotspot der Bohème.
Wir besuchten auch das Shopping Cidade Jardim, auf der anderen Seite des Flusses, von dem wir die wildesten Geschichten gehört hatten. Nicht ganz zu Unrecht wird es als “enclave fortificado” (befestigte Enklave), “vitrine das desigualdades sociais” (Schaufenster der sozialen Ungleichheiten) oder als “ilha da fantasia” (Phantasieinsel) bezeichnet. Das ohne Auto nur schwer erreichbare Luxus-Shopping, das sich unweit eines sozialen Brennpunkts befindet, unterscheidet sich in seinem Angebot deutlich von den übrigen Shoppings und übertrifft selbst das elegante Iguatemi, das immerhin Edelmarken wie Tiffany & Co, Chanel und Christina Louboutin unter einem Dach vereint.
Vor zwei Wochen, kurz nach seiner Eröffnung, stand nun das JK Iguatemi auf unserer Ausflugsagenda, nicht zuletzt, da einer der Kunden des Unternehmens meines Mannes dort einen Flagship Store betreibt, den wir uns anschauen wollten. Das neue Aushängeschild der Megacity, das in Teilen noch nicht ganz fertiggestellt ist, kommt nicht ganz so abgehoben daher wie das Shopping Cidade Jardim. Es ist natürlich deutlich moderner als das traditionelle Iguatemi, aber eben auch nicht so „demokratisch“ wie das Morumbi Shopping. Wir flanierten, staunten und freuten uns über das ein oder andere Geschäft, bis wir an Ladurée vorbeikamen. Macarons würden unsere JK-Sightseeing-Tour noch mehr versüßen. Da dies offensichtlich auch einige andere Besucher dachten, mussten wir uns in eine lange Schlange einreihen. Während mein Mann wartete, studierte ich die Auswahl an bunten Gebäckköstlichkeiten – und auch die Preise. Die waren nicht süß, sondern gesalzen: Für vier Macarons feinster importierter Qualität zahlten wir R$ 36,00, knapp 15 Euro.

Freitag, 13. Juli 2012

Hochzeiten (2) – Ganz wie in Hollywood

Noch zehn Minuten. Wenn nicht ein Wunder geschehen würde, würde ich meine erste brasilianische Hochzeit versäumen. Zumindest die kirchlich Trauung, die um 18.30 Uhr in der Paróquia Nossa Senhora Mãe do Salvador, unter den Paulistanos als Cruz Torta bekannt, beginnen sollte.
„Wenn der Kollege jetzt käme, hätten wir noch eine Chance“, meinte meine Freundin, „zehn Minuten brauchen wir laut Google Maps für die knapp neun Kilometer lange Strecke“, berichtete sie. Ich hatte meine Zweifel, doch die ließ ich mir nicht anmerken, auch nicht, als sie erklärte, dass brasilianische Hochzeiten häufig nicht pünktlich beginnen. „Du hast sicher recht“, entgegnete ich vermeintlich zuversichtlich, denn auch meine Freundin, eine Brasilianerin, die zwanzig Jahre lang in Deutschland gelebt hatte, wurde von Minute zu Minute unruhiger.
Während wir uns auf brasilianische Weise gegenseitig beruhigten, hielt ihr 14jähriger Sohn nach dem Auto des Kollegen Ausschau. „Mama, da kommt er“, rief der bei jedem dritten SUV aus, ohne dass das von uns herbeigesehnte Fahrzeug darunter gewesen wäre.
Um 18.25 Uhr entschied sich Cristina schließlich dazu, den Kollegen anzurufen, um herauszufinden, wann mit ihm zu rechnen sei. „Ihr könnt runterkommen“, sagte der brasilianische Kollege ruhig, „ich bin quasi schon vor der Haustür“, erklärte er weiter. Da standen wir bereits und warten weitere fünf Minuten, bis der riesige und vor allem hohe Pick-up-Truck vor uns hielt.
Nun aber schnell, denn die Uhr zeigte inzwischen 18.30 Uhr. Doch wie sollte ich mit meinem engen Rock nur dieses Gefährt besteigen. Sekundeschnell waren Cristina und ihr Sohn eingestiegen. Kurzerhand raffte ich meinen Rock und tat es ihnen nach, glücklicherweise ohne das zarte Material zu zerreißen. Ich hätte mir Zeit lassen können, denn nun widmete sich der Kollege, zusammen mit seiner Frau, die in diesem Moment die Einladung aus ihrer Tasche zog, seelenruhig dem Navigationssystem. Während beide mit der Adresseingabe beschäftigt waren, klingelte das Mobiltelefon des Kollegen. Auch das noch! Wir würden noch mehr Zeit verlieren, würden die Zeremonie verpassen. An dieser traurigen Tatsache bestand für mich mittlerweile kein Zweifel mehr.
Doch plötzlich keimte Hoffnung auf, denn am Telefon war eine Kollegin, die bereits vor der Kirche stand. Wir hätten alle Zeit der Welt, fasste unserer Fahrer das Telefonat zusammen. Gerade jetzt erst würde die zuvor angesetzte Hochzeit beginnen. “Graças a Deus”, „Gott sei Dank“, wie der Brasilianer sagt.
Selbst Kirchen haben in Brasilien einen Manobrista-Service, einen Park-Dienst, der in diesem speziellen Fall aus vier Männern bestand, die uns die Türen aufhielten und den Schlüssel entgegennahmen, um das Auto anschließend zu parken.
Nachdem es mir mit etwas Mühe gelungen war, halbwegs elegant aus dem Pick-up-Truck zu gleiten, schweifte mein Blick umher. Ich sah atemberaubende Abendroben, elegante und stylische Cocktailkleider, romantische und edle Frisuren, als plötzlich die Gäste der vorangegangenen Hochzeit die Kirche verließen und wir an der Reihe waren.
Begleitet von Evergreens der Filmmusik betraten wir die eindrucksvoll dekorierte Cruz Torta, die Kirche, deren Namen mich automatisch Torten denken ließ. Doch weit gefehlt, denn ihr Spitzname bezieht sich auf die postmodernen Kreuze im Innenraum und bedeutet wörtlich übersetzt schiefes Kreuz.
Nachdem die Hochzeitsgäste ihre Plätze eingenommen hatten, stieg der Rührungsfaktor ein erstes Mal an diesem Abend, denn je vier Paare, die Madrinhas und Padrinhos, die weniger mit den deutschen Trauzeugen als vielmehr mit ihrem US-amerikanischen Pendent, den Bridesmaids und den Groomsmen, vergleichbar sind, zogen feierlich ein, gefolgt vom der Mutter der Braut, die vom Vater des Bräutigams in die Kirche geführt wurde. Links des Altars gruppierten sich die Paare mit Bezug zur Braut, rechts die Zeugen des Bräutigams, der an der Seite seiner Mutter in die Kirche einzog.
Eine Weile verging, bis die Fanfare des Hochzeitsmarschs von Felix Mendelssohn-Bartholdy erklang und der große Moment gekommen war: Im verspielten Hochzeitskleid, mit einem Schleier schritt die Braut an der Seite ihres sichtlich gerührten Vaters auf den Bräutigam zu, der schließlich den zukünftigen Schwiegervater mit einem Händedruck begrüßte, seine Braut zart auf die Stirn küsste und ihr seinen linken Arm anbot.
Die kurze, berührende Zeremonie nahm ihren Lauf. Gefragt, ob sie den Bund der Ehe miteinander eingehen wollten, bejahte das Paar nicht einfach nur, sondern wiederholte die Worte des Priesters. Auch der Ring wurde nicht einfach so, sondern im Rahmen des von beiden langsam und deutlich vorgetragenen Eheversprechens übergeben, begleitet von ergreifenden Musikstücken, die auch die Glückwunschzeremonie im Altarraum prägten. Herzzerreißend umarmten Braut und Bräutigam erst die jeweils neue und schließlich die Ursprungsfamilie. Kein Hollywood-Film hätte besser inszeniert sein können. Daran erinnerte auch das Brautauto, das die Frischvermählten wenig später bestiegen – eine schwarze Chevrolet-Limousine aus den 50er Jahren.
Auch wir machten uns auf zum Espaço Afrikan House, einem Festsaal, in dem, wie in Brasilien üblich, die Hochzeitsfeier stattfinden sollte. In stimmungsvolles Licht getaucht, das Eingangstor, an dem wir auf den Einlass warteten, während die Namen von um die 300 Gästen mit der Gästeliste abgeglichen wurden.
Wir nahmen an Tisch 27 Platz. Es wurde gespeist und getanzt, nachdem die Hochzeitstorte angeschnitten und das überglücklich und ausgesprochen entspannt anmutende Brautpaar den Eröffnungstanz absolviert hatte.
Emotionale Szenen spielten sich ab, ganz real und auf dem Big Screen: Jeder einzelne Gast wurde von den frisch Vermählten geherzt und geküsst. Und jeder konnte in diese Liebesgeschichte eintauchen, in stimmungsvollen Bildern präsentiert auf einer zentral positionierten großen Leinwand. Ganz wie in Hollywood!

Freitag, 6. Juli 2012

Hochzeiten (1) – Von Leidenschaft, Vorbereitungen und Erlebnissen weltweit

Es begann im Juli 1981, als ich die Hochzeit von Prince Charles und Lady Diana Spencer im Fernsehen verfolgte. Das atemberaubende Brautkleid, die festliche Zeremonie, die prächtige Kutsche weckten meine Leidenschaft für Hochzeiten.
Berührt hat mich die Vermählung der Argentinierin Máxima Zorreguieta mit dem holländischen Kronprinzen Willem-Alexander, um die es durch den Vater der Braut, der als Staatssekretär für die argentinische Diktatur unter Präsident Videla tätig war, im Vorfeld zahlreiche Diskussionen gegeben hatte. Zum Weinen brachte mich die Hochzeit der Bürgerlichen Mary Donaldson mit dem dänischen Thronfolger Kronprinz Frederik, denn es war die mit Abstand emotionalste Hochzeit, die ich je am Fernsehgerät verfolgt habe, insbesondere im Vergleich zu der vom Zeremoniell beherrschten Vermählung am spanischen Königshof, die im gleichen Monat stattfand.
Ich habe wirklich alle königlichen Hochzeiten gesehen, stets kommentiert von Rolf Seelmann-Eggebert, dem deutschen Adelsexperten, dessen Wissen mich jedes Mal beeindruckte. Ein solcher Kenner wäre hilfreich, dachte ich mir immer wieder, wenn ich selbst zu Hochzeiten eingeladen war.
So stand für mich Ende der 90er Jahre eine hinduistische Hochzeit in Philadelphia an. Ich hatte nicht den Hauch einer Ahnung, was mich erwartete, geschweige denn, wie ich mich kleiden sollte. Weder hatte ich je eine Hochzeit in den Vereinigten Staaten, noch eine nichtchristliche Zeremonie besucht. Eine besondere Erfahrung. Ich erlebte den Bräutigam, einen in Deutschland aufgewachsenen, nicht-religiösen Amerikaner mit indischen Wurzeln im traditionell indischen Hochzeitsgewand in einem Kontext, der auf den ersten Blick so gar nichts mit ihm zu tun hatte. Auch erforderte die unbekannte Zeremonie, die sich über Stunden hinzog, ein hohes Maß an Konzentration und Aufmerksamkeit. Denn nicht nur das Paar, das auf einem Podium um eine Art rituelle Feuerstelle herum saß, musste sich immer wieder erheben, sondern auch die Gäste. Es wurde viel rezitiert und gesungen auf dieser für mich exotischen Hochzeit.
Zwei Jahre später sollte es noch exotischer werden, dieses Mal allerdings im Hinblick auf die Location. Ich war zu einer Strandhochzeit auf dem eleganten Paul Mitchell Estate in Lanikai auf der Hawaii-Insel O’ahu eingeladen. Eine elegante Strandhochzeit – für mich damals ein Oxymoron, insbesondere da bei den Amerikanerinnen auf der indischen Hochzeit das kleine Schwarze hoch im Kurs gestanden hatte. Auch wenn ich keinen kleidungstechnischen Fauxpas beging: Hätte ich damals bereits in Brasilien gelebt, hätte ich vermutlich ein anderes, weniger konventionelles Outfit gewählt.
Im Vergleich zu dem, was ich wieder einige Jahre später auf einer Hochzeit in Berlin-Neukölln erlebte, war die indische Hochzeit geradezu ereignisarm. Türkische Hochzeiten sind ein echtes Spektakel. Um die 1.000 Gäste hatten sich in einem riesigen Festsaal versammelt – dicke türkische Mütter mit Kopftüchern, stark geschminkte junge Frauen mit aufwändigen grellen, meist knallroten sehr kurzen oder langen Kleidern, alte Männer mit klassisch türkischen Häkelmützen und junge Männer im Anzug, mit offenem Hemd und Goldkette, gern auch mit verspiegelter Sonnenbrille. Laute türkische Musik erfüllte den Saal, mal live, mal aus der Konserve. Apropos Konserve: Das Essen war großartig und ganz nach meinem Geschmack: Döner at its best! Beindruckend auch die langwierige Beschenkungszeremonie, in deren Verlauf jeder Gast dem Brautpaar Geld- oder Goldgeschenke überreicht.
Über die Jahre besuchte ich auch die ein oder andere klassisch deutsche Hochzeit. Ein Highlight unter ihnen war eine hessische Adelshochzeit vor wenigen Jahren. Als begeisterte „Bunte“-Leserin hätte ich allerdings wissen sollen, dass ein Hut mein sonst gelungenes Outfit abgerundet hätte.
Vor zwei Wochen nun stand meine erste brasilianische Hochzeit an. Könnte ich nur auf Rolf Seelmann-Eggebert als Berater zurückgreifen. Der wüsste bestimmt, ob ein kurzes oder ein langes Kleid geboten sei, denn in meinem Umfeld herrschte diesbezüglich Uneinigkeit. Ich konsultierte Google, in der Hoffnung, hier eine Antwort zu finden. Doch nachdem auch Google die Frage der Kleiderwahl nicht eindeutig beantwortete, vertagte ich die Entscheidung, die mich einige Zeit umtrieb, bis zu meiner Rückkehr aus Deutschland.
Kaum gelandet, probierte ich alle Outfits, die bereits in die engere Wahl gekommen waren, und entschied ich mich schließlich spontan für einen knielangen, eleganten Zweiteiler mit Mantel, alles aus schwerer, changierender Seide, denn zwei Tage vor dem Ereignis musste ein Ergebnis her.
Darüber, dass sich in Brasilien die Hochzeitsgäste generell sehr viel Mühe mit ihrem Outfit und Styling geben, waren sich alle Befragten einig.
Nachdem also die Kleidung ausgewählt war, galt es, sich dem Styling zu widmen, was sich als wirklich aufwändig herausstellen sollte. Um 9.00 Uhr begann die Friseurin mit den Vorarbeiten, während die “Manicure” meine Nägel verschönerte. Mit Vogelnestern auf dem Kopf verließ ich um 11.00 Uhr den Salon zum ersten Mal an diesem Tag, um meine Kleidung von der Reinigung abzuholen. “Que linda”, wie schön, kommentierte die Reinigungsmitarbeiterin meine noch unfertige Frisur flüchtig, vermutlich verwundert darüber, welch sonderbare Frisuren Europäerinnen zu einer Hochzeit tragen. Um 13.00 Uhr ging es erneut in den Salão de Beleza. Dieses Mal stand das Make-up auf der Agenda. Sie verwende deutsche Produkte, die für Theater und Film verwendet werden, erklärte die Visagistin stolz. Dann kann ja nichts mehr schiefgehen! Gegen 16.00 Uhr machte ich mich schließlich zum dritten Mal auf den Weg in den Tempel der Schönheit, dieses Mal, um die Hochsteckfrisur vollenden und ihr einen abendlichen Touch geben zu lassen, denn in Brasilien ist es nicht unüblich, dass selbst die kirchliche Trauung am Abend stattfindet. Nach nur zwanzig Minuten war aus den Vogelnestern eine elegante Abendfrisur geworden
Da mein Mann noch in Deutschland zu tun hatte, würde mich einer seiner Mitarbeiter um 17.50 Uhr zur Hochzeit der Kollegin abholen. Inzwischen war es 17.45 Uhr. Nichts vermochte mich mehr in der Wohnung zu halten. Aufgeregt fuhr ich nach unten. Im Eingangsbereich ergab sich sogleich die erste Möglichkeit, mein Outfit einer kritischen Prüfung zu unterziehen, denn ich traf eine stets gut gekleidete Nachbarin. Anerkennend musterte mich diese von oben bis unten und ließ sich gar dazu hinreißen, mein Aussehen zu kommentieren: „Que linda, que elegante!“ Ich verabschiedete mich dankend und trat um 18.00 Uhr schließlich vor die Tür. Es wurde 18.10 Uhr, bis Cristina, die Assistentin meines Mannes und gleichzeitig meine Freundin, die ebenfalls mitfahren wollte, mit ihrem Sohn eintraf. Die Hochzeit sollte um 18.30 Uhr beginnen. Unser Fahrer war nicht in Sicht.