Mittwoch, 23. November 2011

Almased oder der Kampf gegen die Folgen der Cozinha Brasileira

Seit gestern kämpfen wir! Mein Mann und ich haben den hinzugewonnenen Pfunden den Kampf angesagt, denn die exzellente Cozinha Brasileira hat uns im wahrsten Sinne des Wortes zugesetzt. Noch am Wochenende haben wir ohne Reue im Vento Haragano, der köstlichsten Churrasceria der Stadt, geschlemmt. Kleine fiese Pão de queijo, gehaltvolle Käsebrötchen, münzgroße frittierte Kügelchen aus Mandiok-Püree und Polenta, ebenfalls frittiert, bildeten den Auftakt zu einem kulinarischen Erlebnis, denn das Fleisch, das dem Churrasco seinen Namen gibt, ist einfach unvergleichlich. Zart, mürbe, saftig.

Diese Hochgenüsse sind in São Paulo an der Tagesordnung. Weltweit ist die Stadt für ihre exzellenten Restaurants bekannt. Ob in der “New York Times“, in der britischen Tageszeitung “The Guardian“ oder in der „Zeit“, die gar berichtet, dass Sao Paulo den Titel „Internationale Hauptstadt der Gastronomie“ trägt, wird die hervorragende Küche gerühmt.
All diesen unvergleichlichen, neuen Genüssen – von der Feijoada über Moqueca de camarão, einer Spezialität aus Bahia, bis hin zu Merengue de morango, einem luftigen Erdbeer-Sahne-Dessert – haben wir abgeschworen. Stattdessen oder gerade deshalb trinken wir Almased, ein gesund schmeckendes Pulver, das uns wieder rank und schlank machen soll.
Ganz unterwartet trat die vom Heilpraktiker Hubertus Trouillé an einem Küchentisch im niedersächsischen Bienenbüttel Anfang der 1980er Jahre entwickelte Mixtur aus hochwertigem Soja, probiotischem Joghurt und besonders enzymreichem Honig, die den Organismus mit allen essenziellen Aminosäuren aus pflanzlichem und tierischem Eiweiß versorgt, in unser Leben.
Ein ehemaliger Kollege meines Mannes, inzwischen bei Almased tätig, hatte sich angekündigt. Mit einer niedersächsischen Delegation wollte er den brasilianischen Markt ausloten, denn das Vitalpulver, das ursprünglich unter dem Namen Almasan ausschließlich über Ärzte und Heilpraktiker vertrieben wurde, trat, umbenannt in Almased und erhältlich in allen deutschen Apotheken, in den neunziger Jahren seinen Siegeszug an. Nach den großen Erfolgen in den USA, wo das Pulver inzwischen landesweit in mehr als 1.200 Health Food Stores verfügbar ist, sollen nun auch die Brasilianer gesund schlank werden.
Im Anschluss an ein ausgiebiges Frühstück im Grand Hyatt São Paulo, dessen kalorische Auswirkungen wir eigentlich nur mit zwei Tagen Almased wieder hätten loswerden können, machten wir uns mit Jörg, dem Botschafter in Sachen gesund abnehmen, auf den Weg zu den einschlägigen Drogarias, denn, wie in den USA, werden hier Drogeriewaren und Arzneimittel in einem Geschäft verkauft.
Wir prüften die in diesem Segment gehandelten Produkte, ließen uns Werbebroschüren

aushändigen und philosophierten über den Markt Brasilien. Damit wir uns ein genaues Bild machen könnten, wollte Jörg einige Almased-Dosen über den Ozean schicken. Nachdem die nun in der vergangenen Woche bei uns eingetroffen waren, zeigte sich mein Mann sehr entschlossen. Wir sollten am Montag mit Almased beginnen, um rechtzeitig zu unserem Deutschlandaufenthalt wieder in Form zu sein.

Wir haben es getan und nehmen nun seit Montagmorgen 8.00 Uhr drei Mal täglich Almased zu uns. Fünf Löffel des Vitalpulvers werden in 200 Milliliter Wasser eingerührt. Hinzu kommen zwei Teelöffel Sojaöl, das wir noch am Sonntag bei Natural da Terra erworben haben. Über den Tag sollte der Abnehmwillige mindestens zwei Liter Wasser

trinken, um den Effekt weiter zu verstärken. Eigentlich dürften wir zusätzlich so viel Gemüsebrühe trinken, wie wir wollen. Doch irgendwie haben wir die nicht in unseren Diätplan aufgenommen.

Wir haben uns, abgesehen von dieser kleinen Modifikation, für den zweiwöchigen Bikini-Notfall-Plan entschieden – und dies, wo das eiskalte Deutschland unser Ziel ist. Eine Woche drei Mal täglich Almased. In der zweiten Woche gibt es morgens und abends Almased. Mittags steht eine leichte Mahlzeit aus Gemüse und Salat, magerem Fleisch oder Fisch auf dem Speiseplan.
Zu unserem Schrecken mussten wir nun feststellen, dass unsere Ration des Diät-Lebensmittels nur bis Donnerstag kommender Woche reicht. Irgendein vergleichbares, ebenso gesundes und sättigendes Produkt würde es sicher geben, dachte ich mir, und machte mich an die Recherche. Doch nein, etwas Ähnliches gibt es in Brasilien nicht. Noch

nicht, denn sogleich haben wir in Niedersachsen eine Ration, die uns bis Weihnachten nährt, bestellt, und für Brasilien langfristig Bedarf angemeldet.

P.S.: Ab 1999 forcierte André Trouillé, Sohn des Firmengründers, die wissenschaftliche Forschung um Almased. „Forscher hatten herausgefunden, dass bestimmte Sojaqualitäten einer Reihe von Krankheiten entgegenwirken, etwa Diabetes, Wechseljahresbeschwerden, allen möglichen Entzündungen”. Inzwischen liegen Studien von vielen renommierten

Universitäten vor, die die positive Wirkung von Almased nicht nur auf die Entwicklung des Körpergewichts bestätigen. Almased beeinflusst alle Komponenten des metabolischen Syndroms positiv. Das metabolische Syndrom bezeichnet eine Kombination von Krankheiten: Übergewicht, Fettstoffwechselstörungen, Blutdruckprobleme und Insulinresistenz.

Donnerstag, 17. November 2011

“Veja“ und mehr: Unser Vorstoß in die brasilianische Medienwelt

„Wusstest Du, dass U2 in der Stadt war“, fragte mich mein Mann eines Abends. Drei Tage, am 09., 10. und 13. April, hatte diese großartige Band im Estádio do Morumbi gespielt und wir erfuhren dies kurz nach ihrem letzten Auftritt.
Wen wundert es, denn die einzigen Medien, die wir zu diesem Zeitpunkt nutzten, waren das gerade gestartete “Time Out São Paulo”, ein englischsprachiges Stadtmagazin, das ich aus New York kannte und sehr schätzte und „Deutsche Welle TV“, dessen Sendungen uns zwar über die neusten Entwicklungen in Deutschland informierten, nicht aber über unsere unmittelbare Umgebung.
Da “Time Out São Paulo” noch in den Kinderschuhen steckte und die Distribution eben

noch nicht wirklich funktionierte, war das monatlich erscheinende Magazin nie vor dem 20. eines Monats verfügbar, wenn es denn überhaupt an den Kiosken der Stadt gehandelt wurde.

Als hätte meine Sprachlehrerin unser Informationsdefizit erahnt, schlug sie eines Tages die Tageszeitung auf und ging mit mir die Konzertankündigungen durch. Ich erzählte ihr von “Time Out São Paulo”, berichtete über die Beschaffungsschwierigkeiten und pries den „Tip“, eines von zwei höchst informativen Berliner Stadtmagazinen.
Ein Magazin dieser Art, “Veja” genannt, gäbe es auch in Brasilien, erklärte sie, jeweils mit Regionalausgaben für Rio und São Paulo und überließ mir die Regionalausgabe vom 10. August, die mit “Cadeia para gringos” (Gefängnis für Gringos) titelte.
Kaum war die Stunde beendet, begann ich mit der Lektüre meiner ersten Ausgabe von “Veja São Paulo”, von den Paulista als “Vejinha”, kleines Veja, bezeichnet. 1.443 Häftlinge aus 89 Nationen, so las ich, sitzen derzeit im Gefängnis “Cabo PM Marcelo Pires da Silva“ in Itaí, knapp 300 Kilometer von São Paulo entferntein. Vom eigentlichen Aufmachertext verstand ich nicht viel. Hilfreich waren die Infokästen mit Fotos, die die Geschichten eines Bolivianers, zweier Afrikaner, eines Spaniers, eines Portugiesen, eines Franzosen und zweier Osteuropäer umrissen, allesamt durch Drogendelikte inhaftiert.
Weitere zwei Wochen gingen ins Land, bis ich unser erstes “Veja“, was „Schau her!“ bedeutet, kaufte. Aufregend war dieser erste Kauf, denn ich wollte sicherstellen, dass ich das Hauptmagazin und die Regionalausgabe São Paulo erhielt. Glücklich erschien ich mit

frischen Brötchen und den beiden Ausgaben schließlich am Frühstückstisch. Ein Ritual war geboren. Seither beginnen wir jeden Samstag mit “Veja“ und “Vejinha“ und studieren
die Politik, Wirtschaft und Kultur des Landes und der Stadt, in der wir leben- mal mehr und mal weniger erfolgreich, denn das führende Wochenmagazin, das aktuell in einer Auflage von 1,107,050 Exemplaren erscheint, ist nicht ohne Anspruch.

Vor zwei Wochen nun haben wir unser mediales Spektrum wieder erweitert, auf Anregung einer Deutschen, deren exzellentes, durch das brasilianische Fernsehen erworbene Portugiesisch uns während unseres Aufenthalts in Bahia beeindruckte und motiviert durch Norica, die deutschstämmige Ehefrau eines Kollegen meines Mannes, die mir

während eines Churrascos, eines Grillfestes, glaubhaft darlegte, dass das “Jornal Nacional“, die nationalen Abendnachrichten, und die anschließende Telenovela für den Spracherwerb äußerst hilfreich wären.

Von gelegentlichen Fußballspielen, die unseren Wortschatz um das Wort “falta“ (Foul) erweitert hatten und der von meiner Sprachlehrerin empfohlenen “Ana Maria Braga“-Show, einer Mischform aus den US-Formaten “Oprah Winfrey Show” und “The View“ oder deutschen Infotainment-Shows wie „Brisant“ oder „Hallo Deutschland“, die ich zwei Mal

allerdings nicht länger als die Hälfte der Sendezeit ertrug, war unser seltener Fernsehkonsum bislang auf den benannte deutschsprachigen Kanal und meinerseits
zusätzlich auf US-Krimiserien wie “Law & Order New York“ oder “Law & Order SVU“ beschränkt.

Am 31. Oktober saßen wir schließlich pünktlich um 20.30 Uhr vor dem Fernseher und

vertieften uns voll konzentriert in unser erstes “Jornal Nacional“, das uns aufgrund unsere noch eingeschränkten Sprachkenntnisse sehr forderte. Eine Schwierigkeitsstufe höher
war und ist “Fina Estampa”, die folgende Telenovela, die seit dem 22. August 2011 auf Sendung ist. Doch dieses TV-Erlebnis, das mit keinem deutschen oder US-amerikanischen TV-Format vergleichbar ist, hat eine eigene Kolumne verdient.

Donnerstag, 10. November 2011

In rasender Geschwindigkeit

Kaum ein Tag vergeht, an dem sich der Blick von unserem Balkon nicht verändert. Wir leben, so las ich kürzlich, in einer Region der Stadt, in der etwas geschieht. Die Zona Sul, die Südzone der Stadt, befindet sich, laut dem Wirtschaftsmagazin Exame, in der urbanen Transformation. Wo heute zahllose niedrige Gebäude stehen, sollen in absehbarer Zeit stylische Wohn- und Bürohochhäuser hochgezogen werden.
Längst ist die aus ein paar Häusern bestehende Favela am Fuße der Morumbi-Brücke, deren Überreste wir bei unserem ersten Spaziergang zum Morumbi Shopping, einem nahegelegenen Einkaufszentrum, noch passiert hatten, abgerissen. Um das Wahrzeichen der Stadt herum wird emsig gebaut. Sechs neue Häuser entstehen, in rasender Geschwindigkeit.
Während wir noch im Juni, zu unserem Einzug, einen gänzlich freien Blick auf die 1992 eröffnete, imposante Brücke hatten, beginnt das Skelett eines Hauses unsere phänomenale Aussicht einzuschränken.
Aktuell können wir von der Rua Pensilvânia, in der wir leben, geradeaus bis zum Shopping Morumbi, rechts bis zur Morumbi Brücke und der eindrucksvollen Skyline von Brooklin Novo und links bis zur Avenida Santo Amaro blicken, denn noch trotzen die charmanten

Einfamilienhäuser den ambitionierten Bauvorhaben. Zumindest in Teilen. Noch.

Doch nicht nur rund um die Morumbi-Brücke herrscht rege Bautätigkeit, auch an der Avenida Jornalista Roberto Marinho werden erste freie Flächen erschlossen. Alles beginnt mit einem kleinen Pavillon, der Kaufinteressenten in die Welt der neuen Immobilie entführt. Diese Illusionsräume sind wirklich beeindruckend. Von Grundrissen und Modellen über täuschend reale Animationen bis hin zu ausgestalteten Wohnbereichen wird vieles geboten.
Insbesondere an den Wochenenden herrscht dort Hochbetrieb. Fahnenschwenkende junge Frauen, die den Straßenrand des Pavillons säumen, laden zur Besichtigung ein. Zahllose vom Bauträger beauftragte Makler erörtern die Vorteile der Immobilie, wenn sie nicht gerade selbst vor der örtlichen Padaria, der Bäckerei, für das neue Bauvorhaben werben.
Geworben wird viel für ein neues Projekt: An Ampeln verteilen Männer und Frau jeden Alters Hochglanzprospekte und aufwändig gestaltete Magazine zum geplanten Neubau. An den Straßenecken stehen den ganzen Tag über Menschen mit Werbeschildern, meist in Form eines Pfeiles, der den Weg zur Traumimmobilie weist.
Insbesondere unmittelbar nach der Eröffnung eines neuen Pavillons geben sich die Interessenten bis spät in die Abendstunden die Klinke in die Hand. Wer möchte nicht in einer aufstrebenden Gegend leben und sich nicht den entscheidenden Kaufvorteil sichern, denn: Wer zuerst kommt, spart. Anders als in Deutschland wird mit dem Bau nämlich erst begonnen, wenn eine ausreichende Anzahl an Apartments verkauft ist. Hier arbeitet der Bauträger mit dem Geld der Endkunden und nicht mit den in Deutschland üblichen Krediten. Das kann wohl auch schon einmal schief gehen. So fährt ein Mitarbeiter meines Mannes regelmäßig zu „seiner“ Baustelle, um den Stand der Dinge vor Ort zu prüfen. Solange seine Traumwohnung noch nicht fertiggestellt ist, lebt der Dreißigjährige noch bei den Eltern – wie auch seine langjährige Verlobte, in der Hoffnung, dass sich die Risikofreude bezahlt macht und beide bald stolze Besitzer ihres eigenen Apartments sind.
Neigt sich der Sonntagabend über Brooklin, fahren scheinbar unvermittelt und aus im ersten Moment nicht nachvollziehbaren Gründen viele, meist neue weiße Kombis, in Deutschland als klassische VW-Busse der ersten Generation bekannt, durch die Straßen. In der Woche ist das Straßenbild geprägt von diesen Fahrzeugen mit großer Ladefläche, denn das deutsche Fabrikat ist äußerst beliebt bei Malereibetrieben, Gärtnern und vielen anderen Dienstleistern. Wenn dann am Sonntag gegen 18.00 Uhr auf einen Schlag zehn bis 20 oder mehr davon plötzlich durch die kleinen Wohnstraßen fahren, ist dies schon auffällig. Dieses Rätsel war nach einigen Abendspaziergängen gelöst, denn die Kombis nehmen die vielen Zettelverteiler und Schilderhalter, die Bicos, und ihre Werbemittel an Bord. Irgendwie logisch, denn diese ließen sich im Bus, dem Transportmittel, auf das diejenigen, die die geringfügig bezahlte Nebentätigkeit verrichten, angewiesen sind, schlecht transportieren.
Gerade wurde ein neuer Kran aufgestellt, ein neues Bauvorhaben begonnen. Bis die Einfamilienhäuser rund um die Rua Pensilvânia den angesagten Apartmenthäusern, die bei kleinerer Wohnungsgröße um die 200 Wohneinheiten umfassen können, gewichen sind, wird noch einige Zeit vergehen. Bis dahin bleibt der Ausblick frei und spannend.

Freitag, 4. November 2011

Wochenenden in und um die Megacity

An meinem ersten Wochenende in der Stadt war ich verblüfft: Alle Straßen zwischen der Rua Guararapes, der Avenida Engenheiro Luís Carlos Berrini und der Avenida das Nações Unidas waren menschenleer. Zugegeben, das Hotel befand sich in einem Business District, doch eine Megacity hatte ich mir anders vorgestellt.
Ich befragte Tereza, eine Paulista. Wenn jemand die Wochenend-Hotspots kennen würde, dann sie. “I hate Sundays”, begann sie ihre Ausführungen. Am Wochenende gäbe die Stadt nicht allzu viel her, erklärte sie. Sicher, es gäbe den Parque do Ibirapuera und einige weitere Orte, doch die meisten Paulista würden ihre Wochenenden außerhalb der Stadt, am Strand oder in den Bergen, verbringen.
Im April, zu Tiradentes, einem Feiertag zu Ehren des ersten Nationalhelden des Landes,

machten auch wir uns auf den Weg zum Strand. Gegen Mittag fuhren – oder besser – schlichen wir, wie tausende anderer Paulista, nach Guarujá. Über vier Stunden brauchten wir für die etwa 65 Kilometer, bis wir den kleinen überfüllten Küstenort unweit der Hafenstadt Santos erreicht hatten.

Etwas glücklicher, wenn auch nicht weniger aufregend verlief unser Wochenendausflug nach Paraty, von dem ich bereits berichtete.
Einen dritten Versuch unternahmen wir kürzlich. In „dem“ lokalen Reiseführer, dem “Fim de Semana“ (Wochenende) São Paulo 2011/2012 war mir Atibaia aufgefallen, eine Kleinstadt, deren Name aus der Tupi-Sprache stammt und „Fluss mit gesundem Wasser“ bedeutet. Wirklich verheißungsvoll und nur 67 Kilometer von São Paulo entfernt.
Ich war auf ein ökologisches Reservat gestoßen mit zwei Trilhas (Pfad, Wanderweg) von neun und elf Kilometern Länge. Wir würden dem Großstadtdschungel für einige Stunden den Rücken kehren und unberührte Natur genießen. Der Rucksack war schnell gepackt.
Die Landschaft um den auf 803 Höhenmetern gelegenen Ort sah vielversprechend aus. Nach einer knappen Stunde waren wir an der Portaria (Pforte) der Fazenda (Landgut), dem Ausgangspunkt unserer Tour, angelangt. Wie an einer Portaria üblich, wiesen wir uns aus und erklärten unser Anliegen. Wir könnten nicht auf das Gelände fahren, erläuterte der Porteiro (Pförtner) und verwies auf einen kleinen Weg, den wir daraufhin einschlugen.

Wie in der Gegend um Cunha („Der steinige Weg nach Paraty“) bedauerten wir, dass wir eine Limousine fahren. Doch wir ließen uns nicht beirren und suchten weiter nach der Fazenda, vorbei an einer Meute bedrohlicher, frei herumstreunender Hunde. Schnell erschloss sich uns, dass sich die Fazenda definitiv jenseits der Pforte, die wir nicht passieren durften, befinden muss.

Nach einer zweiten Charmeoffensive, die den Porteiro zwar beeindruckte, die Schranke aber nicht öffnete, versuchte ich, nahezu ohne Mobilfunknetz, die Nummer der Fazenda anzurufen. Ein schwieriges Unterfangen, denn die Leitung brach zusammen. Als ich kurz vor Atibaia endlich die Rezeption der Fazenda erreichte und unseren Fall radebrechend schilderte, erteilte meine Gesprächspartnerin unseren Pläne eine Absage, denn heute fände eine geschlossene Unternehmensveranstaltung statt. Unseren nächsten Besuch mögen wir doch telefonisch ankündigen. In der Tat, die Telefonnummer war sicher nicht ohne Grund angegeben. Unverrichteter Dinge fuhren wir zurück in die Megacity, deren Erholungsräumen wir am darauffolgenden Wochenende eine zweite Chance geben wollten.
Wir besuchten einmal mehr den Parque do Ibirapuera, dieses Mal am Vormittag, mit abertausenden Sportlern und „unsportliche Poser“, denn nach Einschätzung meines Mannes betrieb nur ein Drittel wirklich ernsthafte Leibesertüchtigung.
Der vielfach gepriesene Park der Fundação Maria Luisa e Oscar Americano (Av. Morumbi, 4077) würde uns die Erholung bieten, nach der wir suchten. Im berühmten Tea Room könnten wir einen Nachmittagstee in subtropischem Ambiente genießen. Nachdem wir den Eintrittspreis entrichtet hatten, erkundeten wir das Gelände, über das zahlreiche Helikopter kreisten, denn viele Einwohner des Stadtteils Morumbi, der für seine besonders hohe Helikopterdichte bekannt ist, befanden sich offensichtlich auf den Heimflug. Leiser war es auch im Tea Room, den wir am Ende unsere Runde, nach weniger als fünfzehn Minuten, erreicht hatten, nicht, denn kleine Paulista taten alles, um die Teestunde der erholungssuchenden Eltern zu untergraben.
Nachdem uns die Nähe keine wirkliche Erholung beschert hatte, wagten wir am Morgen des 2. November (Dia de Finados/Allerseelen) einen erneuten Ausflug an den Strand. Klüger geworden, verließen wir um kurz nach 8.00 Uhr die bedeckte, kühle, ausgestorben Megacity, in der Hoffnung, die Strecke nach Guarujá dieses Mal schneller zu bewältigen. Tatsächlich, in nur eineinhalb Stunden erreichten wir den Küstenort, der in Sonne getaucht war, entgegen der Prognose meines Mannes. Wir hatten alles richtig gemacht, zumindest fast alles. Mein Mann, der ein langärmliges Polo-Sweatshirt, kurzer Hose und Flipflops trug, entledigte sich seines Langarmshirts. Erst krempelte ich die Jeans hoch, dann trennte ich mich von meinem Mehrschichtenlook. Später erstand ich ein hübsches Strandkleid, das ich sogleich anzog.
Stundenlang spazierten wir genussvoll am Strand entlang, bis wir, zurück am Auto, realisierten, dass wir völlig verbrannt waren, denn Sonnenschutzlotion hatten wir nicht aufgetragen. Wir hatten sie an diesem kühlen Tag erst gar nicht eingepackt.
Mit einer bleibenden Erinnerung kehrten wir am Nachmittag zurück in die Megacity,

erholt und glücklich, wenn auch leider kreischend rot. Dank einer Empfehlung meiner Freundin Michaela, die mir das After Sun-Produkt Caladryl ans Herz legte, das laut ihrer Aussage jede Frau in Brasilien benutzt, hat sich meine Hautfarbe nahezu normalisierte. Mein Mann strahlt noch heute (Erholung aus). Eines Tages, da bin ich sicher, werden wir zu echten Routiniers in Sachen Nah- und Fernerholung.