Mittwoch, 31. August 2011

O inverno na cidade (Winter in der Stadt)

Dienstag: Strahlend blauer Himmel, 32 Grad, die Bäume tragen sattes Grün oder blühen in den schillerndsten Farben. Und dies mitten im Winter, der in der südlichen Hemisphäre vom 21. Juni bis 20. September andauert. Zuletzt war es nach Angaben des Nationalen Instituts für Meteorologie im Februar so warm. Es herrscht „Summer in the City“. Seit dem frühen Morgen schwirrt mir der im Sommer 1966 veröffentlichte Hit von The Lovin’ Spoonful im Kopf herum.
So stellte ich mir mein Leben am anderen Ende der Welt vor. Ich war mit Sommergarderobe angereist, denn Mitte Februar herrschte schließlich meteorologischer Sommer in São Paulo.Zwei leichte Strickjacken, ein dünner Pullover und einige Jeans wären, bis der Container eintrifft, sicher genug an warmer Kleidung, so nahm ich an. Doch diese Annahme war fatal.
Ende Mai, während ich unser Apartment für den Einzug vorbereitete, fror ich mich fast zu Tode. Ich kultivierte den Zwiebellook, trug bis zu vier Schichten und entschied mich, von

Verzweiflungskäufen abzusehen, denn im Container befand sich schließlich genug
warme Kleidung, die mich durch viele harte Berliner Winter gebracht hatte.

Drinnen war es meist kälter als draußen, denn zu meiner großen Verwunderung gab (und gibt) es keine fest installierten Heizungen in Brasilien, nicht einmal in unserem Hotel, in dem ich mich nachts, nachdem ich erschöpft aus dem eiskalten Apartment zurückkehrte, in warme Decken hüllte.
Eines Tages machte meine Freundin Tereza dem Frieren ein Ende und stellte mir einen Teil ihrer Wintergarderobe zur Verfügung, bis mein Mann aus Deutschland einen Koffer

meiner wärmsten Winterkleidung mitbrachte, den ich für unseren Winterbesuch bei meinen Eltern deponiert hatte, denn nie im Leben würde ich diese Kleidungsstücke hier, in der subtropischen Klimazone, benötigen.

Unmittelbar nach unserem Einzug, nur wenige Tage nach der Rückkehr meines Mannes, erwarben wir eine Ölheizung auf Rollen. Endlich müssten wir nicht mehr frieren. Doch

kaum hatten wir sie in Betrieb genommen, war sie „explodiert“, denn dass die Steckdosen, an denen sie betrieben werden kann, mit 20 Ampere abgesichert werden müssen, war uns nicht bekannt.

Mein Mann verbrachte die folgende Woche in Curitiba und ich fror weiter. Dort, so berichtete er, trügen die Mitarbeiter des Unternehmens, das er besuchte, an ihren Arbeitsplätzen Wintermäntel und Schals, manche sogar Handschuhe. Gar nicht so abwegig, dachte ich mir, und zog meine kurzärmelige Daunenweste fortan auch in der Wohnung an.
Kaum war mein Mann aus dem klirrend kalten Süden des Landes zurückgekehrt, machten wir uns, nachdem unser Elektriker die Steckdosen umgerüstet hatte, einmal mehr auf den Weg zum Baumarkt, um eine neue Heizung zu erstehen, nicht zuletzt, da sich meine Mutter aus dem sommerlichen Deutschland angekündigt hatte, und wir ihr kein tiefgekühltes Apartment zumuten wollten.
Mit ihrer Ankunft waren wir schließlich winterfest, denn sie hatte auf meinen Wunsch hin eine weitere warme Wolldecke und viele Packungen Spitzenkerzen mitgebracht.
Mit meiner Mutter kehrten die sommerlichen Temperaturen zurück, die sich, von kleinen meteorologischen Ausreißern abgesehen, hielten. Kein Vergleich zum Winter in Berlin – zu den trüben, dunklen Novembertagen, dem eiskalten Dezember und den ersten Monaten im Jahr, in von der Hoffnung auf Frühling geprägt sind.
Mittwoch: Seit gestern Abend regnet es in São Paulo. Unser nahezu freistehendes, schlankes Haus (16. Stock in einem one-per-floor-Apartment) trotzt tapfer dem Wind. Die Wolken hängen teilweise so tief, dass sie die Morumbi-Brücke geradezu verschlucken. Ein weiterer meteorologischer Ausreißer, der uns, inzwischen hervorragend ausgestattet, nichts anhaben kann. Und schon bald dürfen wir wieder auf 30 oder mehr Grad und strahlenden Sonnenschein freuen. Vom Sommer, der uns erst noch bevorsteht, spreche ich nicht einmal. Auf der Südhalbkugel zu leben, ist ein sonniges Vergnügen.

Donnerstag, 25. August 2011

Gegen alle Klischees

Brasiliens Elf-Millionen-Stadt São Paulo gelte als hässlich und gefährlich, so der „Spiegel“. Ließt man gar den Abschnitt Kriminalität in den landesspezifischen Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amtes wird einem Angst und Bange.
Nie werde ich die erste gemeinsame abendliche Busfahrt mit meinem Mann vergessen, als er, der Autofahrer, nachdem wir ausgestiegen waren, erleichtert und glücklich feststellte, dass wir ja gar nicht überfallen worden wären. Die allgegenwärtigen Warnungen können den Newcomer tatsächlich verunsichern. Unsere Erfahrungen stehen den allgemeinen Schreckensberichten allerdings diametral entgegen, auch wenn wir das Schicksal häufig geradezu herausgefordert haben.
Alles begann mit einer Einkaufstüte: In den Umzugswirren war ich abends zum Supermarkt unseres Vertrauens gegangen, um kurz ein paar Lebensmittel einzukaufen. Im Apartment wieder angekommen, stellte ich jedoch fest, dass die wesentlichen Lebensmittel fehlten. Dass ich sie an der Kasse eingepackt hatte, erinnerte ich genau. Ich rekonstruierte die zurückliegenden dreißig Minuten, in der Hoffnung auf eine zündende Idee. Nachdem ich im Supermarkt gewesen war, hatte ich einen Abstecher in die Padaria gemacht. Vermutlich hatte ich die Tüte dort stehengelassen. Nein, es wurde keine Tüte gefunden, erfuhr ich, als ich mich dort radebrechend nach deren Verbleib erkundigte. Also zurück zum Supermarkt. Kaum hatte ich das Geschäft betreten, winkte mir die nette Kassiererin zu und gab ihrer Kollegin am Counter im Ausgangsbereich ein Zeichen. Die kam daraufhin auf mich zugeeilt und überreichte mir freudestrahlend meinen Einkauf.
Gut, dass ich diesen Counter bereits kannte, denn einige Monate später war mein Apartmentschlüssel nach einem Großeinkauf wie vom Erdboden verschluckt. Den konnte ich nur während des Einkaufs oder beim Ein- oder Aussteigen ins Auto verloren haben. Nachdem die Suche im Parkhaus ergebnislos verlief, wandte ich mich an den besagten Counter und wieder wurde mir freudig der verloren geglaubten Gegenstand präsentiert.
Zwei Mal wurde mir der brasilianische Aberglaube fast zum Verhängnis: Als ich an einem meiner ersten Tage in der Stadt in einem Restaurant meine Handtasche neben mich auf den Boden stellte, bekam meine Freundin Tereza fast einen Herzinfarkt. Ich sollte die Tasche unverzüglich aufheben und an meinen Stuhl hängen, denn sonst würde ich all mein Geld verlieren. Nun, nachdem sie mir schlüssig nahebrachte, welch verhängnisvolle Folgen auf dem Fußboden gelagerte Taschen bringen würden, gewöhnte ich mir an, meine Handtasche stets am Stuhl zu befestigen. Leider mit dem Ergebnis, dass ich sie eines Abends in der Padaria Leirense einfach hängen ließ und mein Geld tatsächlich beinahe verloren hätte. Doch kaum kehrte ich zurück, wurde mir die Tasche mit meinem Portemonnaie und all meinen Papieren entgegengetragen.
In einer anderen Padaria, die ich selten besuche, erlebte ich ähnliches, wenn es sich diesmal auch nur um eine Tüte wundervoller Brigadeiros handelte, die ich zuvor bei Maria Brigadeiro erstanden hatte. Auch die bekam ich zurück, als ich nach einem ausgiebigen Spaziergang auf der Avenida Paulista deren Verlust realisierte und in die Padaria zurückkehrte.
Selbst, dass Busfahren in São Paulo gefährlich ist, kann ich aus eigenem Erleben nicht bestätigen, ganz im Gegenteil, denn im Bus machte ich die erstaunlichste Erfahrung. Nachdem ich die Busfahrt bezahlt hatte, setzte ich mich, mit schweren Einkäufen beladen, in die hinterste Reihe, um später schnell und unkompliziert aussteigen zu können. Kaum saß ich, kam ein junger Mann auf mich zu und hielt mir Geld entgegen. Das kam mir reichlich sonderbar vor und ich erklärte, dass ich nicht verstünde. In exzellentem Englisch erklärte der Endzwanziger, ein Journalist bei Thomson Reuters, dass ich mein Wechselgeld beim Cobrador (Fahrkartenverkäufer) liegengelassen hätte.
In Morro de São Paulo, unserem Urlaubsparadies in Bahia, war schließlich der Ehering meines Mannes plötzlich verschwunden. Ich hatte ihn zuletzt auf der Fensterbank des kleinen Duschfensters, von dem man in den verwunschenen Urwald blicken konnte, gesehen. Die Erinnerung meines Mannes, war ob einer schweren Magenverstimmung völlig ausgelöscht. Nachdem wir die Besitzer des Hotels über den traurigen Verlust informierten, begann die Suche – unter der Pfahlbaukonstruktion des Bungalows und in allen Bereichen des Hotels. Ohne Erfolg, der Ring blieb unauffindbar. Als wir mehr als 24 Stunden nach dem Verlust den zweiten Strand entlangstreiften, regte ich an, im Club do Balanço, dem Restaurant, in dem sich mein Mann am Vortag bei einer Cola von seiner Lebensmittelvergiftung erholt hatte, nachzufragen. Nein, dort wäre der Ring ganz bestimmt nicht und wie ich denn mit meinen rudimentären Sprachkenntnissen danach fragen wolle. Ich insistierte und versuchte es einfach, indem ich auf meinen Ring zeigte. Das Gesicht des Mannes, den ich fragte, hellte sich sofort auf und er bedeutete mir, ihm zu folgen. Wenig später hielt er mir den schweren, rotgoldenen Ring entgegen. Wir waren sprachlos und zutiefst gerührt, das kostbare Stück wieder in Händen zu halten.
Erst einmal konnte ich mich revanchieren, indem ich die beiden größeren Kinder einer Mutter, die gerade in einen Schönheitssalon geeilt war, darauf aufmerksam machte, dass das Portemonnaie ihrer Mutter aus der Gepäcktasche des Kinderwagens, in dem das dritte Kind saß, gefallen war.

Donnerstag, 18. August 2011

Reise ins Paradies (3)

Strahlend blauer Himmel, feiner weißer Sand, türkisfarbenes Meer, Palmen, wohin das Auge sieht… so präsentierte sich das Paradies, das wir erobern wollten – am frühen Nachmittag unseres ersten Tages auf der Ilha de Tinharé in Morro de São Paulo.
Wir streiften durch Mangrovenwälder, durchquerten kleine kühlende Frischwasserzuläufe, die ins warme Meer mündeten. Verzaubert von der Szenerie ließen wir uns treiben, bis wir im wahrsten Sinne des Wortes in den tosenden Wellen trieben, denn die Flut hatte eingesetzt.
Unmerklich war das Wasser angestiegen. Es war knöchelhoch, knietief und schließlich brach eine tosende Welle über mich herein. Mein hünenhafter Mann war todesmutig weiter ins Meer gegangen und hatte so die Felsklippe, die den Übergang vom dritten zum zweiten Strand befestigte, umwandert. Ich stand in der donnernden Gicht und fasste mir, da mir die strategischen Empfehlungen meines Mannes zu risikoreich erschienen, ein Herz und erklomm die Felsen. Und ich habe überlebt, wie diese Zeilen zweifelsfrei belegen. Unsere Kamera leider nicht, so dass wir das Paradies nur unzureichend dokumentieren konnten.
Triefend nass staksten wir auf der kleinen Felsbefestigung entlang, ausgerechnet an der Meerseite eines der Luxusresorts. Cool und nicht im mindesten verwundert reagierten die Wächter dieses Luxuspalastes und wiesen uns den Weg durch das Dickicht, in das wir uns gern schlugen, denn unter uns tobte das tosende Meer und in unserem Aufzug stand uns nicht der Sinn danach, den Caipirinha schlürfenden Gästen des Resorts zu begegnen.
Also durchs Dickicht in die Zivilisation. Wir kämpften mit Ästen, überquerten Baumstämme und durchwateten die inzwischen angeschwollenen zufließenden Flüsse, bis wir Häuser sahen, die scheinbar ins Meer gebaut waren. Über hohe, glitschige Stufen erreichten wir eine Art Promenade, die von den hohen Wellen umspült war. Anders als die Profi-Wächter, deren Coolness sich mein Mann damit erklärte, dass sie vermutlich jeden Tag durchnässten Wanderern den Weg weisen, konnten sich die Ladenbesitzer in Anbetracht unseres derangierten Zustands ein amüsiertes Lächeln nicht verkneifen.
Erschöpft und glücklich schmiedeten wir bei einem Açaí na tigela (püririerte Açaíbeeren in der Schale) und einem Eis bei Sonnenuntergang am zweiten Strand, dem Ziel unserer ersten Erkundung, Pläne für unser nächstes Abenteuer.
Über einen Trail, einen Pfad, könnte man an einen einsamen, idyllischen Strand gelangen. Köstlichste Fischspezialitäten könne man dort genießen, erfuhren wir. Abends, zum Sonnenuntergang, könne uns der Gärtner unseres aus zehn Bungalows bestehenden Hotels mit einem kleinen Boot dort abholen. Eine Erkundungstour genau nach unseren Vorstellungen.
Angela, die Besitzerin des bezaubernden Anima Hotels (www.animahotel.com) führte uns, zusammen mit einem ausgesprochen sympathischen britischen Cosmopoliten-Ehepaar, am Strand entlang in ein Dickicht und suchte lange entschlossen nach dem durch den letzten Sturm scheinbar wie weggeblasenen Pfad, der durch rote Bäume gekennzeichnet sein sollte.
Schließlich fanden wir ihn, den Pfad mit den roten Bäumen, und machten uns auf, über Stock und Stein, durch kleine Flüsse und heiße Lichtungen, vorbei an Pferden und Hunden, denen wir mitten in dieser verwunschenen Idylle begegneten. Das, was wir dann sahen, raubte uns einmal mehr den Atem: Eine kleine traumhaft schöne Bucht, in der sich Fischerboote in den Wellen wiegten und ein strahlend weißer, feiner Sandstrand, an dem fröhliche Kinder in blauen Schuljerseys Fußball spielten, tat sich vor unseren Augen auf. So muss es sein im Paradies, schloss mir durch den Kopf.
Wir schlenderten am Strand entlang, aßen bei Capitão Pipoca kostliche Garnelen und streiften durch das kleine Fischerdorf Garapuá.
Im Sonnenuntergang verließen wir diesen nahezu unberührten Ort. Mit einem viersitzigen Boot glitten wir über das weite, warme Meer in die unwirklich schöne, sternenklare Nacht.
Nach vielen weiteren wundervollen Momenten wird mir auch unsere Rückkehr lange in Erinnerung bleiben. Mit unserem Kombi fuhren wir nach Zimbo und erlebten ein Déjà-vu, denn wir wurden dort von einem gelbgewandeten Mann mit einer Schubkarre erwartet, der uns zum Flugplatz bringen wollte. Freudig nahmen wir seine Hilfe diesmal an und machten uns auf den Weg. Durch eine kleine Gasse liefen wir zum Strand und über eine Wiese weiter zum Flughafen, der aus einem kleinen Holzhaus und einer Graspiste bestand.
Mit einer sechssitzigen Minuano flogen wir nach Salvador, um von dort nach São Paulo zurückzukehren. Während wir der Skyline entgegenflogen, blickten wir zurück auf den Ort, den wir sicher wieder besuchen werden.

Donnerstag, 11. August 2011

Reise ins Paradies (2)

Um 16.22 Uhr sollten wir am Flughafen Deputado Luís Eduardo Magalhães in Salvador eintreffen. Von dort wollten wir mit einem Kleinflugzeug(www.aerostar.com.br) weiter nach Morro de São Paulo, in unser Paradies auf der Ilha de Tinharé in Bahia, fliegen.

Doch uns war entgangen, dass die Nachmittagsmaschine Salvador bereits um 14.30 Uhr

verlässt, ebenso wie der Katamaran (www.biotur.com.br), der, anders als das Flugzeug, jedoch fünf Mal pro Tag verkehrt.

Und da die Sechssitzer gut gebucht sind, so dass wir auch für den Folgetag keinen Flug bekamen, entschieden wir uns, nach einer Nacht in Salvador, für den Katamaran.
Im Ansatz beunruhigt sah ich uns mit einem kleinen Segelkatamaran mit zwei Rümpfen den Atlantik überqueren. Doch hinter dem Mercado Modelo, dem berühmten Kunsthandwerksmarkt Salvadors, erwartete uns ein Motorkatamaran für um die 100

Passagiere.

Ich genoss die fast dreistündigeAtlantiküberquerung und war ein wenig stolz, dass ich die  Wellen besser wegsteckte als mein Segler-Ehemann. Okay, ich hatte vorgebeugt und auf Anraten eines Freundes auf das bewährte Hilfsmittel Dramin zurückgegriffen, um jedweder Übelkeit vorzubeugen.
Wir sollten abgeholt werden im Hafen von Morro de São Paulo. Unzählige Männer in grellgelben Shirts standen mit Schubkarren bewaffnet am Pier und versuchten, uns dienstbeflissen das Gepäck zu entreißen, um es zum Weitertransport auf ihre Schubkarren zu laden. Da wir aber spätestens hinter dem großen Steintor unsere Abholung erwarteten, verteidigte mein Mann unsere Koffer energisch.
Gleichzeitig rief ich im Hotel an, um zu eruieren, wo genau wir abgeholt werden würden. Genau dort, wo wir uns befänden, würde in wenigen Minuten jemand mit einem Schild des Hotels erscheinen, erklärte die Rezeptionistin. Und tatsächlich nahm uns kurz darauf ein junger Mann in Empfang, der uns bedeutete, ihm zu folgen.
Fassungslos sahen uns die gelbgewandeten Männer an, als wir unsere Koffer den Berg hinaufzogen. Jede Minute erwarteten wir den VW-Bus des Hotels, der auf der Internetseite abgebildet war. Doch es sollte anders kommen: Bei leichtem Nieselregen lief der junge Mann weiter und weiter und weiter. Er lief bergauf, bergab, über Sand, Kies und Holzbohlen. Wir zogen unsere Koffer hinter uns her und ernteten höchst irritierte Blicke, denn vermutlich war noch nie zuvor ein Besucher auf die Idee gekommen, die Koffer eigenhändig zu transportieren. Immer wieder wurde unser Guide angesprochen, denn dass wir uns an seiner Seite abmühten, konnte offensichtlich niemand nachvollziehen. Mein Mann fluchte vor sich hin und ich hoffe einfach nur darauf, dass wir endlich unser Ziel erreichen würden.
Nach einem ungefähr 20-minütigen höchst beschwerlichen Fußmarsch erreichten wir einen gepflasterten Platz. Hier verabschiedete sich der junge Mann und erklärte, dass wir gleich von einem Kombi (brasilianische Bezeichnung für einen VW-Bus) des Hotels abgeholt würden.
Minuten später stiegen wir erschöpft in den Kombi und erlebten sogleich ein weiteres Abenteuer. Auf unbefestigter Piste fuhren wir durch eine verwunschene Gegend in den Sonnenuntergang, fasziniert von den Fahrkünsten des Fahrers, der die unzähligen kratertiefen Schlaglöcher äußerst geschickt umfuhr. Nach weiteren 20 Minuten waren wir angekommen.
Für das, was sich vor unseren Augen auftat, wäre ich bis zur völligen Erschöpfung gelaufen oder tausende Kilometer gefahren. Und ich verabscheue lange Auto- und Busfahrten wirklich sehr. Nie hätte ich geglaubt, dass ein solcher Ort tatsächlich existiert. Wir standen mitten im Paradies. Glücklich checkten wir ein. Vor uns lagen sechs Tage, um diese unwirkliche Gegend zu erkunden. Über unsere Abenteuer werde ich demnächst berichten.
Post Scriptum: Bevor wir an unserem ersten Abend im Paradies das Licht löschten, las mein Mann im Reiseführer und begann laut zu lachen: „Frachtgut (und Gepäck) wird mit Hilfe von Schubkarren auf den sandigen Wegen an Pousadas, Restaurants und Boutiquen vorbeigekarrt“ (Quelle: Brasilien, 1. Deutsche Auflage, Lonely Planet Publications, Juni 2008, S. 514).
Mein Mann leistete Abbitte für den selbstverschuldeten Gewaltmarsch und wir beschlossen, fortan den Reiseführer vor Reiseantritt zu konsultieren.