Freitag, 25. Mai 2012

Gesundheit (2): Dr. Karl: Ein Kinderarzt, dem auch Erwachsene vertrauen

„Wir gehen zu einen deutschsprachigen Kinderarzt“, berichtete eine Freundin, nachdem ich ihr von meinem ersten eher unerfreulichen Arztbesuch in der Megacity erzählt hatte. „Dieser Arzt behandelt auch Erwachsene. Ich war selbst schon dort und kann gern einen Termin für Dich vereinbaren“, erklärte sie weiter. Zum Kinderarzt solle ich gehen? „Klar, Dr. Karl ist ein großartiger Mediziner, er spricht Deutsch und versorgt wirklich viele erwachsene Patienten“. Ich zierte mich ein wenig, denn es mutete mir schon etwas sonderbar an, mich bei einem Kinderarzt vorzustellen.
Je mehr ich allerdings darüber nachdachte, umso attraktiver erschien mir der Vorschlag. Ein renommierter Arzt, mit dem ich mich in meiner Sprache austauschen kann – beides Aspekte, die für eine außergewöhnliche Arztwahl sprechen. Ich kann wieder allein zum Arzt gehen, ohne übersetzende Freundinnen. Noch dazu zu einem, dessen fachliche Qualitäten hoch gelobt werden.
„Ich habe die Kontaktdaten dabei und kann gleich dort anrufen, wenn Du das möchtest“, erklärte die Freundin ganz pragmatisch. Also gut, auf einen Versuch sollte ich es ankommen lassen. Sekunden später war der Termin vereinbart, mit Carmen, der Sprechstundenhilfe, mit der sich meine Freundin zu meiner Erleichterung ebenfalls auf Deutsch verständigte. Nun müsste ich nur die Anmeldung im Ärztehaus selbst bewältigen.
Am darauffolgenden Montag war es schließlich soweit. Ich stand an der Anmeldung, ohne Kind an meiner Seite, und erklärte, dass ich einen Termin bei Dr. Karl habe. Routiniert und ohne jede Irritation erledigte die Rezeptionistin die Formalitäten, kündigte mich an und überreichte mir einen Besucherausweis. Die erste Hürde war genommen.
Unfassbar, schoss es mir auf dem Weg in die Praxis durch den Kopf, dass ich mit 43 Jahren zum Kinderarzt gehe. Amüsiert trat ich ein und stellte mich bei Carmen vor, die es keinesfalls sonderbar zu finden schien, eine Akte für eine Erwachsene anzulegen. Mein Blick streifte durch Räumlichkeiten. Ein gut sortiertes Spielzeugangebot für alle (kindlichen) Altersstufen inklusive zweier Schaukelpferde prägte das Bild. Auf einem Bildschirm lief eine Zeichentrickserie. Eine absurde Situation. Und doch fühlte ich mich sofort wohl zwischen den Mütter und deren Kindern, die mich neugierig ansahen und sich vermutlich die Frage stellten, wo ich denn mein Kind gelassen hatte.
Dr. Karl begrüßte mich mit dem Wai, einer traditionell thailändischen Grußhandlung, mit aneinander gelegten, den eigenen Oberkörper berührenden Handflächen. Seine zurückhaltende, asiatisch anmutende Höflichkeit kam mir entgegen – in Brasilien, dem Land der abraços und beijos, der Umarmungen und Begrüßungsküsse.
Beeindruckt haben mich die gründliche Anamnese und die exzellente klinische Untersuchung, berührt hat mich, dass für Sekundenbruchteile immer wieder der sensible, empathische Kinderarzt durchschien. Im Rahmen dieses ersten jährlichen Check-ups verordnete Dr. Karl einige Untersuchungen im Labor Fleury im eigenen Haus, nicht zuletzt auch, um die absurde Diagnose des vorbehandelnden Arztes auszuräumen. Carmen wäre mir gern bei der Terminvereinbarung mit dem Labor behilflich. Wenn die Ergebnisse vorlägen, würden wir diese im Detail besprechen und falls irgendetwas sei, könne ich ihn jederzeit gern auch über sein Mobiltelefon anrufen. Was für ein Kontrapunkt zu meiner erster Arzterfahrung nur wenige Wochen zuvor.
Nicht, dass Carmen einfach nur bei Fleury angerufen hätte. Nein, die engagierte Deutschbrasilianerin machte sich mit mir auf den Weg dorthin. Nachdem wir über einen Hintereingang das drei Stockwerke entfernte Labor erreicht hatten, leitete sie die Erfassung meiner Daten und die Terminierung der Tests in die Wege. Was für ein Service.
Vor einigen Wochen war ich schließlich mit meinem Mann, den eine unangenehme Erkältung mit Atemwegsbeschwerden ereilt hatte, bei Dr. Karl. Ich war froh, meinem Mann überzeugt zu haben, sich dort vorzustellen, denn mein Mann hat ein eher gespaltenes Verhältnis zu Ärzten. Ein gewisses Unwohlsein war ihm dennoch anzumerken. Dies blieb auch Carmen nicht verborgen, die daraufhin einen interessanten „Kinderarzt-Helferinnen-Trick“ anwandte: „Wenn Sie brav sind und nicht weinen, bekommen Sie nach der Untersuchung ein Bonbon.“ Damit war der Arztbesuch schon vor der Untersuchung ein Erfolg, denn mein Mann lachte, trotz starker Symptome, herzlich.

Freitag, 18. Mai 2012

Gesundheit (1): Pest oder Cholera?

Meinen ersten Arztbesuch in der Megacity habe ich lange aufgeschoben, trotz einer massiven Erkältung. Im Mai 2011 hatte mein Organismus nahezu schutzlos mit Tiefsttemperaturen von um die 12 Grad gekämpft, ohne wärmende Kleidung, denn die befand sich zu diesem Zeitpunkt in unserem Container, der im Hafen von Santos auf seine Freigabe wartete. Als das Thermometer im Juni an manchen Tagen gar bis auf eisige 9 Grad sank, vermochte auch die wärmste Kleidung nichts mehr auszurichten.
Im neu bezogenen Apartment, noch ohne jedes Heizgerät, fror ich mehr als ich je zuvor gefroren hatte. Ich sollte doch zum Arzt gehen, rieten Menschen aus meinem Umfeld. Wenn das so einfach wäre, dachte ich.
Irgendwann leuchtete schließlich auch mir ein, dass die Erkältung, die sich täglich verschlimmerte, nur mehr medikamentös in den Griff zu bekommen wäre. Ausgerüstet mit der Ärzteliste des Generalkonsulats, wandte ich mich an die Office-Managerin meines Mannes, meine Ansprechpartnerin in Sachen Krankenversicherung, die mir nach einer kurzen Recherche mitteilte, dass keiner der beiden aufgelisteten mehrsprachigen HNO-Fachärzte zu unserem Convênio, unserem Krankenkassen-Bündnis, gehöre.
Jede private Kasse habe Partner in den unterschiedlichen medizinischen Bereichen. Unsere beispielweise arbeite mit dem Hospital Osvaldo Cruz, dem Labor Fleury und ausgewählten Fachärzten, von Allgemeinmediziner bis zum unaussprechlichen Otorrinolaringologista, dem Facharzt für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde. Hier seien alle Kosten abgedeckt.
Ginge ich zu einem Arzt, der nicht zum Convênio gehöre, müsse ich die so genannte Consulta, den Arztbesuch, vor Ort bezahlen. Ein Teilbetrag würde mir später, nach Einreichung der Rechnung, erstattet.
Etwas ratlos saß ich der Office-Managerin gegenüber. Sollte ich einen der Spezialisten von der Ärzteliste wählen, die Consulta vorstrecken und mich auf den Weg nach Morumbi oder Paraiso machen, in Stadtteile, die mir damals so geläufig waren wie innerstädtische Bereiche von Addis Abeba oder Jakarta, oder sollte ich einen Vertragsarzt in der Nähe aufsuchen, mit dem ich mich aller Wahrscheinlichkeit nach nicht verständigen kann. Pest oder Cholera?
Da ich die Entscheidung aufgrund meiner damals sehr rudimentären Sprachkenntnisse nicht aufschieben konnte, denn niemals hätte ich telefonisch allein einen Termin vereinbaren können, bat ich die Office-Managerin, einen Vertragsarzt in der Nähe kontaktieren und den nächstmöglichen Termin zu vereinbaren. Wie ich die Herausforderung Arztbesuch sprachlich bewältigen könnte, würde ich mir anschließend überlegen.
Als ich eine Freundin, die zum damaligen Zeitpunkt schon ewig in der Megacity lebte, telefonisch über die aktuelle Situation ins Bild setzte, nahm sie das Heft in die Hand und bot an, mich abzuholen und zum Arzt zu begleiten. Geschwächt aber zuversichtlich stieg ich am Folgetag, dem 10. Juni, in ihr Auto, gespannt, was mich erwarten würde.
Nach kurzer Zeit erreichten wir die Praxis, die auf den ersten Blick vielversprechend erschien. Ein Park-Service-Mitarbeiter, ein Manobrista, der vor dem von außen gepflegt erscheinenden Haus wartete, nahm das Auto meiner Freundin entgegen und wir konnten sofort, ohne lästige Parkplatzsuche, hineingehen.
Ohnehin durch die Erkältung entkräftet, begab ich mich in die Hände meiner Freundin, die den aufwändigen Verwaltungsakt für mich übernahm. Nachdem alle Formalitäten erledigt waren, nahmen wir im gut gefüllten Warteraum mit Retrocharme Platz und harrten der Dinge, die da kommen würden. Der ausgeprägte Retrostil setzte sich im Behandlungsraum, den wir nach langer Wartezeit über eine sehr schmale Treppe erreichten, fort. Ich gebe zu, ich habe hohe Maßstäbe, denn die Klinik, in der ich zuletzt als Pressesprecherin gearbeitet habe, ist in allen Fachabteilungen apparativ wie personell hervorragend ausgestattet.
Meine Freundin erläuterte dem älteren, von Sekunde zu Sekunde unsicherer wirkenden Arzt die Problematik meiner Sprachkenntnisse, beschrieb meine Symptome, übersetzte die Nachfragen des Mediziners und meine Antworten. Eine skurrile Situation.
Auf die etwas holprige Anamnese folgte die „klinische“ Untersuchung, die mir als kundigem Laien völlig absurd vorkam. Sei es drum, dachte ich mir. Wenn ich denn ein wirksames Medikament verordnet bekomme, hat sich der Besuch in jedem Fall gelohnt.
Die Verordnung bekam ich und eine irritierende Zusatzdiagnose, die meinem anatomischen Verständnis nach ziemlich aus der Luft gegriffen war, obendrein. Da könnte ein Knoten an meiner Schilddrüse sein. Ich sollte einen Ultraschall machen lassen und mich dann wieder vorstellen. Das werden wir sehen, schoss es mir in den Kopf. Erst einmal wollte ich mich um das Naheliegende kümmern und fuhr mit meiner Freundin zur nächstgelegenen Drogeria, einer Mischform aus Apotheke und Drogerie.
Hier wartete die nächste Überraschung, denn der Arzt hatte mir das Antibiotikum nicht etwa in Tablettenform, sondern als Spritze verschrieben. Bevor irgendetwas geschehen konnte, fiel erneut ein größerer Verwaltungsaufwand an. Nachdem auch dieser erledigt war, sollte ich einem jungen Mann in eine Kabine folgen, allein, ohne meine Freundin. Wem von uns beiden dies unangenehmer war, lässt sich auch im Nachhinein schwer ermitteln. Unter Schweißausbrüchen bereitete der junge Mann die Spritze vor, während ich mich fragte, wo der die Spritze wohl setzen würde. Mit rotem Kopf zeigte der Jüngling schließlich auf mein Hinterteil und machte sich bereit. Geschafft – im wahrsten Sinne des Wortes!

Freitag, 11. Mai 2012

Halsbrecherische Bürgersteige: Über 100.000 Menschen verunfallen pro Jahr

Es bedarf eines hohen Maßes an Aufmerksamkeit, einer ausgeprägten Geschicklichkeit oder viel Übung, um sich sicher im öffentlichen Raum der Megacity bewegen zu können. Über 30.000 Kilometer Gehwege durchziehen São Paulo – und nahezu jeder einzelne Meter birgt Gefahren, denn kein Bodenbelag gleicht dem nächsten und kaum ein Abschnitt weist keine Gehwegschäden auf, sieht man einmal von den großen Prachtstraßen ab.
Da kann der Weg zum Supermarkt bereits zum Balanceakt werden. In unserem Fall sind knapp über 300 Meter zurückzulegen. Selbst diese kurze Strecke hat ihre Tücken. Zehn mächtige Strommasten, zahlreiche Bäume, Beete und unglücklich platzierte Straßenschilder sorgen dafür, dass zwei Menschen einander kaum passieren können, selbst ohne die häufig erforderlichen Regenschirme.
Die eigentliche Herausforderung besteht allerdings in der unfallfreien Überwindung der unterschiedlichsten Bodenbeläge. Da wechselt die grobe Pflasterung mit kleinen Pflastersteinen, abgelöst durch Bodenfliesen und Betonplatten, jeweils mit gefährlichen Übergängen, unmotivierten Stufen und großen Kratern. Abschüssige Bürgersteige, mehr die Regel, als denn eine Seltenheit, erhöhen den Schwierigkeitsgrad.
Treffen mehrere Faktoren aufeinander, gilt es, besonders wachsam zu sein. So um unseren Ponto, den Taxistand, herum. Hier ist der Bürgersteig durch den überdachten Stand und zahlreich wartende Fahrer sehr schmal, abschüssig und ausgesprochen schadhaft. Da sollte man sich nicht dazu hinreißen lassen, der lebhaften Kommunikation der Fahrer zu lauschen, denn dann ist der Sturz vorprogrammiert.
Pro Jahr verunfallen nach offiziellen Angaben über 100.000 Menschen auf den Bürgersteigen der Megacity. Die Dunkelziffer dürfte weit höher liegen, denn nicht jeder, der Opfer der halsbrecherischen Bürgersteige wird, geht zum Arzt oder zeigt seinen Unfall bei der Prefeitura, der Stadtverwaltung, an. Meine Mutter beispielsweise stürzte am zweiten Tag ihres Besuchs auf einem völlig desolaten Gehweg in unmittelbarer Nähe. Tapfer ertrug sie die schmerzhaften Hämatome, die der Aufprall mit sich brachte.
Gerade die Anfangszeit ist tückisch, denn der an gute Gehwege gewohnte Mitteleuropäer schenkt der Beschaffenheit des Untergrunds wenig Beachtung. So knickte mein Mann in den ersten Wochen und Monaten vielfach um, häufig mit schmerzhaften Folgen, während ich mich schon nach wenigen Tagen darauf beschränkte, theatralisch über den Bürgersteig zu stolpern.
Alles eine Frage der Übung – denn von der ersten Stunde an bewegte ich mich weitestgehend zu Fuß durch die Megacity – und des richtigen Schuhwerks.Nach meinen ersten Bürgersteig-Stunts machte ich es mir zur Gewohnheit, elegante Schuhe nur noch dann zu tragen, wenn ich im Auto unterwegs bin. So bleiben zarte Absätze unbeschädigt und Knochen, Gelenke und Weichteile verschont.
Bald könnten jegliche Vorsichtsmaßnahmen überflüssig sein, denn sowohl die Prefeitura, als auch Verbände und Unternehmen haben sich der Bürgersteige angenommen: Ab 09. Januar 2012 wurde das Gesetz 15.442, das unter anderem den Bau und die Instandhaltung von Bürgersteigen regelt, mit der Veröffentlichung im Amtsblatt, dem Diário Oficial da Cidade de São Paulo, wirksam.
Neu definiert wurden die Abmessungen der Bürgersteige. Deren Mindestbreite wurde von 90 Zentimetern auf 1,20 Meter erhöht. Bäume, Strom- und Laternenmasten und die metallenen Abfallaufbewahrungskästen sollten diesen Raum nicht verringern. Wer die aktuelle Situation kennt, wundert sich nicht, dass ein Katalog von Ausnahmeregelungen bereits im Gesetzestext verankert ist.
Auch wurde die Zuständigkeit für die Gehwege erweitert. Neben den Eigentümern, die bislang für den Zustand der Bürgersteige vor ihren Privat- oder Geschäftsimmobilien verantwortlich zeichneten, dürfen nun auch die Mieter in die Pflicht genommen werden. Kommen Mieter oder Eigentümer ihrer Verantwortung nicht nach, drohen heftige Strafen. Fielen vor der Gesetzesänderung Bußgelder zwischen RS 100 und R$ 500, je nach beschädigtem Bereich, an, so sind dies heute R$ 300 pro laufenden Grundstücksmeter, unabhängig von der Größe des beschädigten Areals.
Auch bei verschmutzten oder mit Schutt vollgestellten Gehwegen wird man mit R$ 4 pro Quadratmeter zur Kasse gebeten, selbst wenn die Müllsäcke vor der Abholung durch die Müllabfuhr zu lange den Bürgersteig blockieren.
Bei der Umsetzung des ehrgeizigen Gesetzes wird auf die Unterstützung der Bevölkerung gebaut. Die soll Schäden unter der für Bürgerangelegenheiten allgemein bekannten Telefonnummer 156 oder auf den Internetseiten der Stadtverwaltung anzeigen. Bereits zum Zeitpunkt der Abfassung des Gesetzes im Jahr 2011, so ist zu lesen, habe die Stadtverwaltung damit begonnen, 145.000 Quadratmeter Bürgersteige zu sanieren. Mit einem Investitionsvolumen von R$ 20,4 Millionen seien die Bürgersteige vor 172 Schulen, 15 Basisgesundheitszentren, vier Parks, zehn Erholungs- und Sportzentren und 23 strategisch wertvollen Zugängen erneuert worden.
Die Organisatoren der Kampagne “Calçadas do Brasil”, in deren Kontext zwischen Februar und April 2012 Bürgersteige in zwölf brasilianischen Hauptstädten untersucht wurden, betrachten die Situation in der überwiegenden Mehrheit der Städte allerdings als prekär. So kommt Marcos de Sousa, Koordinator der gerade veröffentlichten Studie, zu dem Ergebnis, dass nur 21 von insgesamt 102 analysierten Bürgersteigen eine akzeptable Qualität aufweisen. Am schlechtesten schnitt Manaus mit 3,6 Punkten, gefolgt von Rio de Janeiro mit 4,5 und Salvador mit 4,6 Punkten ab. São Paulo belegt mit 6,3 Punkten einen erstaunlichen fünften Platz, der sich nicht zuletzt durch den Spitzenwert von 10 Punkten für die Avenida Paulista erklärt. Die Bestnote erteilt die Studie übrigens den Bürgersteigen von Fortaleza, dicht gefolgt von Belo Horizonte.

Freitag, 4. Mai 2012

Dudalina – “Camisas para mulheres que decidem”

Es begann mit dem Beginn unserer Nutzung brasilianischer Medien an einem Samstag Ende August 2011. Mein Mann durchblätterte unser erstes “Veja”, ein auflagenstarkes Wochenmagazin aus dem Hause Abril. Offensichtlich hatte er den Titel des Magazins wörtlich genommen: „Schau her!“, sagte er, und deutete auf eine ganzseitige Anzeige des Blusenherstellers Dudalina. Zukünftig verging kaum eine Woche, in der er mich nicht auf die eleganten und äußerst femininen Blusen hinwies.
Als wir, Monate später, schließlich zufällig auf ein kleines Dudalina-Geschäft stießen, war er kaum mehr zu halten. „Jetzt schenke ich Dir eine Dudalina-Bluse“, rief er begeistert aus, während ich die edle, farbenfrohe Oberbekleidung, zum Teil mit floralem Mustermix, kritisch betrachtete. Ich bin eher der klassische Typ, mit einem Faible für weiße Blusen. Und wenn schon nicht weiß, dann doch wenigsten monochrom.
Über die Monate zog sich unser Dudalina-Spiel hin. Wann immer mein Mann auf eine Dudalina-Anzeige stieß, geriet er ins Schwärmen und wenn wir, bei unseren Streifzügen durch das Morumbi Shopping, das Geschäft passierten, erklärte er regelmäßig, dass heute der Tag gekommen sei, eine Dudalina-Bluse zu erstehen.
Auch am vergangenen Wochenende schien sich unser Spiel zu wiederholen. Einmal mehr standen wir vor dem Blusenfachgeschäft, in dessen Fenster tatsächlich einmal eine weiße Bluse ausgestellt war, wenn auch mit den typischen Dudalina-Details – dem auffälligen Logo, der Flor-de-Liz, der typisch abgesetzten Taillierung und den aufwändig gestalteten Manschetten.
Dieses Mal überraschte ich meinen Mann und entschied mich, dem Claim des Hauses Dudalina entsprechend – denn das Unternehmen offeriert schließlich “Camisas para mulheres que decidem”, „Blusen für Frauen, die entscheiden“ – das Geschäft zu betreten und der weißen Bluse mit zyklamfarbenen Elementen eine Chance zu geben.
Brechend voll war das kleine Fachgeschäft. Unzählige Verkäuferinnen umschwärmten die zahlreichen Kundinnen. Einmal an seinem Ziel angekommen, war mein Mann, der in vergleichen Situationen eher klaustrophobisch reagiert, sehr tapfer. Nachdem die weiße Bluse meiner durch die exzellente brasilianische Küche etwas veränderten Silhouette durchaus schmeichelte, hatte auch ich Feuer gefangen. Angetan von den hochwertigen Materialien, probierte ich eine Bluse nach der anderen. Mal glich der Look dem eines Paradiesvogels, mal kam er eher bieder daher. Ich wählte meinen Klassiker und zog, während mein Mann bereits zahlte, einen schlichten Baumwollpullover, dessen Farbe mit den Details der Bluse korrespondierte, über. Das Geschäft verließen wir mit einer zyklamfarbenen, hochwertigen Tasche aus lackiertem Karton, zugebunden mit einer edlen Schleife, allerdings ohne den Pullover.
Um den ergänzten wir die wirklich schöne Bluse erst am nächsten Tag, im stylischen Shopping Patio Higienópolis. Dort stießen wir, dem Damengeschäft gegenüberliegend, erstmals auf eines für Herren. So angetan mein Mann von den Damenblusen war, so wenig konnte er allerdings mit der feminin anmutenden Herrenlinie mit in schwarz gehaltenem Logo anfangen.
Nach so viel Dudalina war ich neugierig geworden und verbrachte den restlichen Sonntagnachmittag mit der interessanten Lektüre der Dudalina-Internetseite. Namensgeber des Traditionsunternehmens waren Rodolfo Francisco de Souza, genannt Duda, und dessen Frau Adelina Clara Hess de Souza, eine Brasilianerin mit deutschen Wurzeln gewesen.
Adelina, so Sônia Regina Hess de Souza, die Tochter, die heute das Unternehmen führt, sei die große Unternehmerin in der Familie gewesen. Der Vater habe zwar hart gearbeitet, doch er sei eigentlich eher ein Poet gewesen. Er sei das Herz und die Mutter, auf deren deutsche Herkunft sie in diesem Zusammenhang verweist, sei der Verstand gewesen. Sie, so berichtet die Tochter, sei letztlich auch für den Start des eher zufällig entstandenen Unternehmens, der auf den 3. Mai 1957 datiert ist, verantwortlich.
Da die Mutter, die mit der Versorgung ihrer 16 Kinder durchaus ausgelastet gewesen sei, keine Zeit zum Einkaufen gefunden habe, hätte dies der Vater übernommen, der sich auf einem seiner Streifzüge dazu hinreißen ließ, große Mengen Stoff zu kaufen. Anstatt verärgert zu sein, habe die pragmatische Adelina sogleich die Chance gesehen, den Stoff zu verarbeiten und Hemden daraus herzustellen. Sie habe die Schnittmuster erstellt, zwei Näherinnen eingestellt und die fertigen Hemden schließlich verkauft.
Über 50 Jahre stand das Unternehmen, das aktuell die Marken “Base”, “Individual”, “Dudalina Masculina” und “Dudalina Feminina” vertreibt, ausschließlich für Herrenmode.
Erst am 13. April 2011, nahezu zeitgleich mit meiner Ankunft, eröffneten die ersten beiden Dudalina Feminina-Stores in São Paulo. Neben diesen zwei Geschäften in São Paulo, öffnete das Unternehmen im gleichen Jahr, über das Land verteilt, 28 weitere. In 2012 soll diese Zahl nahezu verdoppelt werden.
Mittlerweile werden pro Jahr rund 3.500 verschiedene Modelle produziert, etwa 1.500 Blusen und um die 2.000 Herrenhemden.
Das Unternehmen, das zwischen 2009 und 2012 ein beeindruckendes Wachstum verzeichnet, ist in den USA bereits in einigen Geschäften, die internationale Marken vertreiben, vertreten. Eigene Stores sind in Planung. In London sei man ebenfalls in acht renommierten Geschäften präsent. Auch in Paris und Mailand habe sich Dudalina bereits vorgestellt. Von dem geplanten Showroom in Mailand aus, wolle man nun den europäischen und den asiatischen Markt erobern.